“ Stolpersteine wider das Vergessen“ in der Stadt Meisenheim
Stadtratssitzung vom 27.Juni 2007-19.00 Uhr
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Sehr geehrte Damen und Herren des Rates,
Ich danke Ihnen für die Einladung in diese Sitzung, um das Projekt „Stolpersteine wider das Vergessen“ in Meisenheim zu erläutern und durch Ratsbeschluß auf den Weg der Realisierung zu bringen.
Erlauben Sie , daß ich zunächst für uns die Stationen der Entwicklung des Projekts rekapituliere.
Am 25.Januar 2006 habe ich im Haus der Begegnung einen Vortrag gehalten zum Thema:
„Jüdisches Leben an Nahe und Glan-bleibende Erinnerung in wechselvoller Geschichte.“
Darin habe ich in der Schlußbetrachtung erwähnt, daß in vielen Städten und Kommunen unseres Landes bereits Formen des Gedenkens und öffentlichen Erinnerns an die Verfolgten und Ermordeten der NS-Zeit gefunden seien unter anderem auch in Form von sog.“Stolpersteinen wider das Vergessen.“
Im Frühjahr 2006 hat sich dann der Stadtrat auf Initiative von Frau Lautenschläger mit der Frage der bleibenden Erinnerung an frühere jüdische Mitbürger/innen auch unserer Stadt beschäftigt, um das Andenken der Opfer des NS-Regimes dem Vergessen zu entreißen für die Zukunft mahnend zu bewahren.
Das war für mich ein denkwürdiger Vorgang, der mit Freude den großen Zuwachs an Demokratie, Verantwortung vor der Geschichte, Humanität und Rechtstaatlichkeit erkennen läßt, für den es erst wohl den historischen Abstand braucht. Lassen Sie mich das durch ein historisches Zitat belegen.
Im Zusammenhang mit der Errichtung des Ehrenmals beklagte Otto David am 2.12.1963 gegenüber Bürgermeister Kircher, daß der 1.Beigeordnete Laubenheimer in seiner Ansprache mit keinem Wort darauf eingegangen sei, „dass die damaligen Nazis auch im eigenen Land selbst und in den besetzten Ländern die jüdischen Mitbürger ausgeraubt, in die KZ’s verbracht und schließlich in unmenschlichster Weise umgebracht haben. Zu diesen ermordete Menschen gehören auch eine Anzahl früherer angesehener Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, die hier in Meisenheim ansässig waren und nachweislich seit Generationen.
Ich frage Sie daher, wann und an welcher Stelle Sie als Bürgermeister der Stadt Meisenheim dieser Menschen, die durch die Naziverbrechen vorzeitig ihr Leben lassen mußten, gedenken wollen?...Wo bleibt das Ehrenmal der Stadt Meisenheim für die durch Zwangstod umgekommenen ehemaligen jüdischen Mitbürger? Wann gedenken Sie ein solches Mal zum Andenken an diese Menschen zu errichten und wo?“
Zwischen diesem Brief und unserem heutigen Bemühen liegen nun 44 Jahre.
Nach der grundsätzlichen Übereinkunft im Stadtrat in der Sache nun tätig zu werden, bat Bürgermeister Waelder mich, einen Arbeitskreis einzuberufen zur Ermittlung der NS-Opfer-Daten von unter dem staatlichem Druck emigrierten, deportierten und ermordeten früheren Meisenheimer Mitbürger/innen.
Als Mitarbeiter wurden gewonnen:
Dr.Kläre Schlarb, Pfr.i.R. Rainer Romahn, Ostdir. i.K.i.R. Wolfgang Dörr, Notar Richard Held, Sonderschulrektorin i.R. Martha Eicher und Pfr.i.R.Günther Lenhoff.
Zurückgreifen konnten wir bei der Recherche:
1. auf die Ergebnisse der Zeitzeugeninterviews von Anni Lamb und Dr.Kläre Schlarb
2. auf die Ergebnisse der Untersuchungen von Wolfgang Kemp, Zur Geschichte der Meisenheimer Juden
3. auf die Arbeit von Markus Henn, Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Meisenheim
4. auf die Schrift von Wolfgang Dörr, Zur Geschichte der Juden in Meisenheim und Umgebung, 1991
5. auf Angaben und Dokumente von Angehörigen der Opfer
6. auf Erkenntnisse aus dem Staatsarchiv in Koblenz
Aus diesen Quellen speisen sich die Erkenntnisse, die den Ihnen vorliegenden beiden Opferlisten zugrundeliegen, auf die ich später eingehen möchte.
Über die Verfolgung von Kommunisten, Hausdurchsuchungen bei der aufgelösten SPD-Ortsgruppe, erzwungenes Ausscheiden aus dem SPD-Gemeinderatsmandat, sowie dem
Wink des Deslocher Amtsvertreters an die beiden Zentrumsvertreter, sich als Hospitanten der NSDAP Fraktion anzuschließen...finden sich lediglich Hinweise im Allgemeinen Anzeiger des Jahres 1933. Die diesbezüglichen Polizeiakten, Partei- sowie Ratsprotokolle wurden alle vorsorglich vernichtet. Eine Datenerhebung dieser Opferkategorie ist nicht mehr möglich.
Am 5.11.06 hat dann der Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig auf Einladung des Träger- und Fördervereins Synagoge Meisenheim e.V. im Haus der Begegnung sein vielbeachtetes bundes- wie europaweites Projekt „Stolpersteine wider das Vergessen“ öffentlich vorgestellt.
Seit 1995 hat der Bildhauer Demnig rund 11000 „Stolpersteine“ gefertigt und verlegt, die an die Opfer von Vertreibung, Deportation und Ermordung durch das NS-Regime erinnern. Es handelt sich dabei um 10x10cm große mit Messingblech verkleidete Pflastersteine, deren sparsame Inschrift jeweils die wichtigsten Opferdaten nennen. Verlegt werden sie im öffentlichen Gehweg vor den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer.
Das Ziel, die Opfer dem Vergessen und Verdrängen zu entreißen und augenscheinliche bleibende Erinnerung im Stadtbild zu bewahren, fand von Anfang an im Ausschuß breiten Konsens.
Nach dem Vortrag von Gunter Demnig wurde von einer Minderheit jedoch die anvisierte
Form des Gedenkens im Arbeitskreis in Frage gestellt.
(Das hatte zum einen zu tun mit dem heftigen Widerspruch von Herrn Demnig auf eine Anfrage von Herrn Dörr, ob seine Mahnmalidee wie ein Patent zu behandeln sei, schließlich gebe es ja mit dem „walk of fame“ in Los Angeles bereits ein ähnliches Vorhaben; wobei die moralische Unvergleichlichkeit der Projekte eigentlich a priori auf der Hand liegt.
Zum anderen wie die Faz am 3.5.207 in einem Feuilletonartikel mit der Überschrift „Stolpern als historische Chance“ schreibt hatte es wohl zu tun mit „der Ikonographie des Artisten- „breitkrempiger Hut,“offenes Hemd“, rotes Halstuch, „abgewetzte Lederweste“,Zimmermannshose...“hemdsärmelig“e Rede.“Keiner...entkam denn auch...dem Gedanken, ob...der Künstler nicht stärker hinter das Werk zurückzutreten hätte. Zweiffelos hat Gunter Demnig eine außergewöhnlich würdevolle Form des Gedenkens erfunden und sie mit größtem Engagement vorangetrieben. Vielleicht lenkt bald auch eine der letzten Bastitionen ein, die sich immer noch gegen die „Stolpersteine“ sperrt: Nicht Polen ist hier gemeint, sondern die Stadt München.“ (FAZ,Do 2.5.2007,Nr.102,S.42)
Unter anderem wurden als Alternative ein Gedenkstein an zentraler Stelle der Stadt, wie in Rhaunen, sowie ein künstlerisch ansprechendes Erinnungsprojekt auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge in die Diskussion gebracht.
Dem Ausschuß schien es wichtig, bei der Suche nach der geeigneten Form des Erinnerns
Stellungnahmen von Angehörigen ehemaliger Opfer, sowie der jüdischen Gemeinde Bad Kreuznach einzuholen.
Jack M.Weil schrieb:
„Ich war erfreut,daß es in Meisenheim davon die Rede ist an diesem Projekt (Stolpersteine)
teilzunehmen. Bei meinen Reisen nach Berlin bin ich auf dieses Prtojekt gestoßen. Ich würde es begrüßen, daß auch in Meisenheim auf diese Art...edine4 sichtbare Erinnerung an das Geschehen zwischen 1933 und 1945 und ihre Opfer im Straßenbild anwesend ist.Auf eine im Volumen kleine doch in der Kommunikation äußers6 starke Weise wird deutlich, wie umfangreich der Menschliche Verlust in der NS-Zeit war, speziell in einer kle9nen Stat wie Meisenheim.
Ich würde stolz sein, wen es gelingen würde, das Projekt zu realisieren, unter der Voraussetzung, das es für jedes einzelne Opfer aus Meisenheim einen Stolperstein geben wird. Persönlich bin ich bereit, das Projekt auch finanziell zu unterstützen.“
Robert David bezeichnet die Stolperstein-Aktion als begrüßenswert.
Liliane Kron, geb.David freut sich, daß wir uns dem Vergessen ehemaliger jüdischer Mitbürger/innen entgegenstellen. Sie begrüßt im Grundsatz auch die Stolpersteinaktion,
macht jedoch darauf aufmerksam, daß es schwierig sei die Fakten zu rekonstruieren.
Einige jüdische Familie hätten bereits nach dem 1.Weltkrieg aus ökonomischen Gründen die Stadt verlassen, während andere Meisenheim verließen, weil die NS Partei und nach 1933 die NS Regierung ihnen keine andere Wahl ließen.“
Diese Voten , die Symbolkraft der Verneigung vor den Opfern eines beispiellosen Kulturbuchs in der eigenen Geschichte sowie die eindrücklich mahnende Gedenkspur durch unsere Stadt als Bekenntnis zur Unveräußerlichkeit der Grundrechte aller Menschen in der Gesellschaft, haben den Ausschuß mehrheitlich darin bestärkt, dem Projekt Stolpersteine
Als dem deutlicheren Zeichen des Gedenkens den Vorzug bei dem „Wie“ des Erinnerns zu geben.
Ein Ausschußmitglied hat an dem abschließenden einmütigen Votum für die Umsetzung des Projekts „Stolpersteine“leider nicht mehr teilgenommen.
1. Ermittelt sind inzwischen:
a. Jüdische Mitbürger/innen, die infolge der NS Herrschaft verzogen bzw. emigriert sind.
Es handelt sich um 24 Menschen, die von 1935 bis einschließlich 1939 die Stadt verlassen haben, deren Geburtsdaten, Wohnung sowie das Datum bzw.Jahr der Emigration.
(vgl. Liste a: „Meisenheimer jüdische Mitbürger/innen, die infolge der Nazi-Herrschaft verzogen bzw.emigriert sind.)“
b. Jüdische Mitbürger/innen, die deportiert in Konzentrationslagern ermordet wurden.
Es handelt sich um 17 Menschen, die in den Lagern Auschwitz,Bergen-Belsen, Dachau,
Theresienstadt ums Leben kamen , sowie.1945 für tot erklärt wurden.
Ermittelt wurden deren Geburtsdaten, Wohnort, Schicksal bzw.Todesdatum und Ort.
(vgl.Liste b:Meisenheimer jüdische Mitbürger/innen, die deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurden.“)
2. Alle in den Listen a und b genannten ehemaligen jüdischen Mitbürger/innen sind als Opfer des NS- Regimes anzusehen. Ihr Andenken soll durch je einen Stolperstein vor dem Vergessen bewahrt werden. Die Verlegung erfolgt auf öffentlichem Grund vor der letzten Meisenheimer Wohnung.
Dafür hat sich der Arbeitskreis per Mehrheitsvotum ausgesprochen.
Der Stadtrat wird nun um beschlußmäßige Zustimmung bzw.Bestätigung ersucht.
Dazu möchte ich nun folgenden Beschlußvorschlag machen:
„Der Stadtrat dankt dem Ausschuß des Träger- und Förderverein Synagoge Meisenheim e.V.
für die Ermittlung von Daten und Schicksalen ehemalige Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in den Jahren 1933- 1945 Opfer der NS Diktatur wurden.
41 deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens sind als Opfer nun namentlich benannt.
Ihrer ist mit je einem „Stolperstein“, der Name, Lebensdaten und Schicksal benennt, eingelassen in öffentlichem Grund vor ihrer letzten Meisenheimer Wohnung, zu gedenken.
16 wurden deportiert und in Konzentrationslagern ermordet.
25 sahen sich gezwungen, die Stadt Meisenheim zu verlassen bzw. zu emigrieren,
davon wurde einer kurz nach seinem Wegzug im KZ Dachau ermordet.
Darüber hinaus ließen sich leider keine anderen Opferdaten mehr ermitteln.
Der Stadtrat macht sich die Empfehlungen des Ausschusses zu eigen und beschließt, zum Gedenken an die Opfer der NS-Verfolgung, das Projekt „Stolpersteine wider das Vergessen“ des Kölner Bildhauers Gunter Demnig auch in Meisenheim umzusetzen.
Der Ausschuß wird gebeten:
- die Textvorschläge für die Gedenksteine zu erstellen, an Herrn Demnig zu übermitteln und einen Zeitplan für die Umsetzung abzusprechen.
- Patinnen/Paten/Sponsoren für die Stolpersteine zu gewinnen
- im Zusammenspiel mit Stadt, Verbandsgemeinde, Vereinen, den örtlichen Schulen und Kirchengemeinden die Gestaltung der öffentlichen Gedenkfeier anläßlich der Erstverlegung zu organisieren.“
G.Lenhoff